Neuer Autoritarismus oder leidlich funktionierende Gesetzesbindung der Justiz?

Vor dem Landgericht Karlsruhe findet zur Zeit ein Prozeß gegen einen Redakteur des freien Freiburger Hörfunksender Radio Dreyeckland statt. Anlass: Der Sender hat auch eine Webseite und auf dieser Webseite erschien am 30.07.2022 ein Artikel [*1]. Stein des Anstoßes ist insbesondere der Satz, „Im Internet findet sich linksunten.indymedia.org als Archivseite“, und der Kontext in dem er steht. Zu diesem Kontext gehört, daß der BetreiberInnenkreis [*2] von linksunten.indymedia 2017 vom Bun­desinnenministerium (BMI) als „Verein“ verboten wurde, da seine Zwecke und Tätig­keiten gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet seien und diese den Strafge­setzen zu wider laufen, so das BMI. Zum konkreten Kontext meinte des Oberlandes­gericht Stuttgart am 12. Juni des vergangenen Jahres: Es sei überwiegend wahr­scheinlich, dass der alte BetreiberInnenkreis auch das – von Radio Dreyeckland ver­linkte – Archiv ins Netz gestellt habe –, also sich weiterhin verbotswidrig weiterhin be­tätigt habe. Diesen verbotenen „Verein“ soll der RDL-Autor mittels seines Links unter­stützt haben (§ 85 Absatz 2 StGB [*3]).
„Die Handlung des Angeklagten ist geeignet, diese Tätigkeit [die angebliche Archiv-Veröffentlichung durch den verbotenen „Verein“] zu unterstützen, indem sie erkennbar für Solidarität mit einem von der Justiz angeblich zu Unrecht verfolgten Verein wirbt (‚wir sind alle l[inksunten]‘, ‚konstruiertes Verbot‘, ‚rechtswidrige Durchsuchung‘) und den Leser dahin lenkt, die verbotenerweise immer noch betriebene Website zu besu­chen und sich über deren Inhalte zu informieren.“
(OLG Stuttgart, Beschluß vom 12.06.2023 zum Az. 2 Ws 2/23 [*4], Textziffer 55)
Die Montage der Zitate innerhalb des OLG-Zitates ist manipulativ:
• Der RDL-Autor hat gar nicht geschrieben, daß „wir […] alle“ linksunten seien. Er hat bloß seinen Artikel mit einem Foto bebildert, auf dem diese Parole an einer Hauswand zu sehen ist. Bildunterschrift: „‚Wir sind alle linksunten‘ – ob dem so ist, war auch ein Streitpunkt auf der Podiumsdiskussion über das Verbot der In­ternetplattform.“
• Fabian Kienert, der Artikel-Autor, sprach auch nicht von einem „konstruierte[n] Verbot“, sondern von einem „konstruierten Verein“ – und ähnliche Formulierun­gen verwandten auch andere JournalistInnen, die das Archiv ebenfalls verlink­ten. Zum Beispiel ist auch auf der Webseite https://uebermedien.de das von Radio Dreyeckland verwendete Foto zu sehen – und anschließend heißt es: „Leider ist die Freiburger Durchsuchung [bei Radio Dreyeckland] nicht der Be­ginn, sondern die wiederholte Fortsetzung eines höchst fragwürdigen Kniffs der Exekutive, eine unliebsame Webseite zu verbieten. Wie Übermedien mehrfach berichtet hat, beruht das Verbot von ‚linksunten.indymedia‘ auf einem Trick: Hätte man die Webseite als Presseerzeugnis verbieten wollen, wären die medi­en- und verfassungsrechtlichen Hürden sehr hoch gewesen. Daher stufte man die Seite einfach als linksextremistischen Verein ein“. Was das linksunten-Ar­chiv anbelangt, so berichtete Über Medien: „Dieses Archiv ist seitdem frei zu­gänglich im Netz und wurde unter anderem vom Berliner ‚Tagesspiegel [*5]‘ , der ‚taz [*6]‘ und hier nun auch von Übermedien [*7] verlinkt.“ [*8] Ein Strafverfahren gegen Über Medien-Autor Andrej Reisin scheint es aber nicht zu geben…
• Und die von Kienert in Bezug genommen Durchsuchung (gemeint war die Durchsuchung des Freiburger alternativen Zentrum KTS am 25.08.2017) war tatsächlich rechtswidrig; jedenfalls wurde sie vom baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshof rechtskräftig für rechtswidrig erklärt: Beschluß vom 12.10.2020 zum Aktenzeichen 1 S 2679/19 [*9]; vgl. KTS-Razzia war rechtswidrig (tarnkappe.info vom 12.11.2020 [*10] [der Artikel enthält ebenfalls einen Link zum linksunten-Archiv]) [*11].

Mittlerweile wurde drei Tage lang vor der Staatsschutzkammer des Landgerichts Karls­ruhe gegen den RDL-Redakteur Fabian Kienert verhandelt (am Donnerstag, den 18.04. sowie Dienstag und Mittwoch, den 23. bzw. 24.04.); mindestens Montag, den 29. und Dienstag, den 30.04. wird es weitergehen.
Bei de.indymedia erschien am Sonntag eine Kommentierte Presseschau zur Medienberichterstattung über die ersten drei Prozeßtage [*12]. – Alldies nahmen wir zum Anlaß für eine politische Zwischenbilanz des Verfahrens:
• Achim vertritt die These: Das RDL-Verfahren zeige eine Verschiebung zum au­toritären „starken Staat“, der sicherlich auch auf den gewachsenen Einfluß des rechten Populismus zurückzuführen sei. Zwar sei der deutsche Hang zum „star­ken Staat“ kein neues Phänomen. Doch trete er meist hervor, wenn sich der Staat von emanzipatorischen oder gar revolutionären Bewegung bedroht sehe. Im Moment regiere aber die harte Hand gegenüber einer Linken im desolaten Zustand, die der Staat ohne sich zu gefährden, auch einfach ignorieren könnte.
• Detlef Georgia meint dagegen: Das RDL-Verfahren zeige vielmehr, daß Grund­rechts- und Gesetzesbindung der Justiz – selbst in Deutschland, wo nahezu alle politischen und juristischen Strömungen in idealistischer Manier ein einge­bildetes ‚wahres Recht‘ den wirklichen Gesetzen überordnen, – einigermaßen funktioniert. Fabian Kienert werde wahrscheinlich freigesprochen, und auch eine etwaige Revision der Staatsanwaltschaft zum Bundesgerichtshof dürfte nicht viel Aussicht auf Erfolg haben.

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Der RDL-Prozess –
eine Verschiebung hin zum autoritären „starken Staat“ ?

von Achim Schill

Da ich selbst juristisch vom Verbot der Internet-Plattform linksunten.indymedia betrof­fen war, habe ich natürlich auch die Medien-Berichterstattung zu Fabian Kienert (wenn auch eher sporadisch) verfolgt. Nun bin ich juristisch nicht so belesen wie dgs (der/die viele Artikel zu dem Verfahren geschrieben hat); von daher habe ich den ganzen Vor­gang mehr unter politischen Gesichtspunkten versucht zu bewerten und einzuordnen. Natürlich kann das nicht die Auseinandersetzung mit der bestehenden Rechtslage er­setzen. Aber dieser ganze Komplex um das „linksunten-Verbot“ (in Anführungszei­chen, weil bis heute Verwirrung gestiftet ist, was eigentlich verboten ist: die Webseite oder ein „Verein“ [*13], der nicht mal korrekt benannt wurde) zeigt meines Erachtens eine Verschiebung des dominanten politischen Lagers vom „liberalen Rechtsstaat“ (der frei­lich seine totalitarismus-geprägten „deutschen“ Spuren nie ablegen konnte [und will]) zu einem Hang zum autoritären „starken Staat“, der sicherlich auch auf den gewach­senen Einfluss des rechten Populismus zurückzuführen ist. Nun hat sich dieser autori­täre „starke Staat“ auch schon früher gezeigt: man denke an die Reaktionen auf die Studentenproteste der 68er-Bewegung oder den „deutschen Herbst“ im Zusammen­hang mit der Verfolgung der RAF. Überhaupt lässt sich die Geschichte des deutschen Staates und seiner Politik ohne das Erbe des „Obrigkeitsstaates“ kaum verstehen. Der Konflikt zwischen Autoritarismus und Liberalismus tritt (normalerweise) immer dann besonders prägnant hervor, wenn die politischen Ordnung in irgendeiner Form bedroht ist oder erscheint. Bei der Studentenbewegung und der RAF ist dies noch einsichtig, aber bei der internet-Plattform „linksunten-indymdia“ ist dieser Zusammenhang nicht mehr ganz so offenkundig. – Gut, es gab die massiven Proteste gegen G20 in Ham­burg, aber kann man das 1 zu 1 linksunten (als ‚Ganzem‘) „zurechnen“ (wie die Juris­ten sagen)? Da können schon massive Zweifel auftreten.

Überhaupt war der ganz Verbotsvorgang mit erheblichen Irritationen verbunden. Eine lange Zeit war es (und letztlich ist es weiterhin; siehe Fußnote 4) unklar, ob die Web­seite verboten ist oder ein Verein namens „linksunten“, den es nicht gibt und nie gab (der richtige Name lautet[e] IMC linksunten). Die ganze Verbotskonstruktion mit dem „Verein“ kann mit einiger Berechtigung als juristischer „Trick“ bewertet werden, weil das BMI natürlich genau wusste, dass Meinungs- und Pressefreiheit nicht so leicht auszuhebeln sind.

Selbstredend ist es der „herrschenden Politik und Rechtsprechung“ ein Leichtes, die Aufrufe zu „Gewalt“, die es bei linksunten auch gab, zu nutzen, um das Verbot zu rechtfertigen. Sicherlich kann man auch als „Linker“ an der Sinnhaftigkeit solcher Auf­rufe zweifeln, aber linksunten hat nun mal alles veröffentlicht, wenn es nicht faschis­tisch, rassistisch oder sexistisch war. Im Übrigen haben auch die Leser solche Ge­waltaufrufe durchaus kritisch kommentiert. Diese Argumentation entpuppt sich also bei genauerer Betrachtung als „Heuchelei“, die umso gewaltiger gen Himmel stinkt, wenn man sich die ganze „offizielle“ Politik in Sachen Kriegseinsätze, innere Aufrüstung, Mi­gration und unterentwickelt gehaltene Länder ansieht. Dazu fällt mir nur mit Dieter Hil­debrandt ein: „Mich regt die Tatsache auf, dass sich niemand aufregt.“

Aber zurück zum Konflikt zwischen Autoritarismus und Liberalismus. Wann, seit dem Ende der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts, hat es eine Bedrohung der politischen Ordnung von „links“ gegeben? Im Gegenteil hat die linke Bewegung eine beispiellose Talfahrt hingelegt, über deren Ursachen man sicherlich gern diskutieren kann. Aber Fakt ist, die Linken sind immer kleiner, gespaltener und bedeutungsloser geworden (eine Ausnahme bildet die Theorieproduktion, die nach wie vor sich an linken Ideen speist). Manchmal habe ich sogar den Eindruck, je bedeutungsloser die linken Grup­pen sind, umso akribischer wird auf die Theorie wert gelegt, was nicht unbedingt nach­teilig sein muss, aber realpolitisch keine Wirkung zeitigt). Unter diesem Gesichtspunkt, was das Bedrohungspotential betrifft, macht das „linksunten“-Verbot also wenig (bis keinen) Sinn, zumal selbst staatliche Stellen wie der Verfassungsschutz „linksunten“ als Infoquelle verwendet haben. Und nur als Rache für die vermasselte G20-Show wirkt als politisches Motiv ein wenig kleingeistig, oder?

Was immer das BMI 2017 sich dabei gedacht hatte, die juristischen Probleme, die im Zusammenhang mit dem Fall Kienert auftreten, sind durchaus erheblich. Wenn allein die archivarische Dokumention eines Presseerzeugnisses (was zwei verschiedene Dinge sind: das Archiv [mit neuem Vorwort und Recherche-Hilfsmitteln] einerseits und die alte Webseite im laufenden Betrieb andererseits) als Fortbestand eines „verbote­nen Vereins“ gewertet werden kann (was ich aber [noch] nicht glauben kann), dann wäre das tatsächlich eine juristische Niederlage für die Pressefreiheit, die es Medien­schaffenden in Zukunft nicht leichter machen wird, ihren Job (Informations- und Mei­nungsbildung) zu erfüllen.

„Die Vorgeschichte zum Prozess verdeutlicht ganz gut, warum es heißt, vor Gericht und auf hoher See lägen Schicksale in Gottes Hand. Denn der Fall macht deutlich, wie unterschiedlich derselbe Sachverhalt von verschiedenen Richter:innen bewertet werden kann“, schreibt Minh Schredle in seinem Prozessbericht bei KONTEXT (https://www.kontextwochenzeitung.de/gesellschaft/682/ein-tiefpunkt-der-justiz-9494.html). Dass derselbe Sachverhalt unterschiedlich bewertet werden kann, ist normal, wenn unter­schiedliche (politische) Interessen (und Weltanschauungen) vorliegen. Aber das Schicksal von Kienert vor Gericht muss nicht (nur) in „Gottes Hand“ liegen. Noch sollte die Gesetzeslage zugunsten von Kienert auslegbar sein.
Sollten sich allerdings die Hardliner des Autoritarismus mit ihrer Rechtsauffassung durchsetzen, dann wäre man in Zukunft gut beraten, vor jeder neuralgischen Publikati­on auch eine Rechtsinformation einzuziehen.
Das politische Klima war für Linke in Deutschland noch nie einfach, aber mein Gefühl sagt mir, es ist rauher geworden.

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Das RDL-Verfahren zeigt, daß Grundrechts- und
Gesetzesbindung der Justiz recht leidlich funktionieren

von Detlef Georgia Schulze

1. Ich teile Achims These, daß die „linke Bewegung“ seit Ende der 1980er Jahre „eine beispiellose Talfahrt hin[…]legt“.

2. Ich teile aber nicht die These (und zwar gerade nicht am Beispiel des RDL-Verfah­rens), daß wir es mit einer Verschiebung hin zum autoritären „starken Staat“ zu tun ha­ben.
Ich würde eher sagen: Wir haben es – grosso modo – mit einer Parallel-Entwicklung von Entradikalisierung der Linken und Liberalisierung des Staates zu tun. Diese Libe­ralisierung des Staates ist zwar ökonomisch stark neo-liberal geprägt (also: aus linker Sicht auch nichts Erfreuliches): Aber die politische Justiz ist meines Erachtens heutzu­tage deutlich weniger ausgeprägt als zu Hochzeiten der KommunistInnen-Verfolgung in den 50er Jahren sowie der Berufsverbote sowie der RAF-„SympathisantInnen“-Hatz insbesondere in den 1970er Jahren. Dies ließe sich auch detailliert an der Entwicklung der Rechtsprechung des Staatsschutz-Senates des Bundesgerichtshof zeigen (dass die noch NS-sozialisierten JuristInnen inzwischen weitgehend gestorben oder zumin­dest in Rente sind, wirkt sich schon aus).
Darüber hinaus gibt es emanzipatorische Entwicklungen im Bereich des Geschlechter­verhältnisses sowie von Homo- und Trans-Rechten. Der Rassismus entwickelt sich von einem ethnischen Rassismus, der AusländerInnen allenfalls als „Gäste“ / „Gastar­beiter“ (auf Zeit) duldete, zu einem humanistischen Ökonomismus, der sich an dunkler Hautfarbe und nicht-deutscher Muttersprache wenig stört. Dieser humanistische Öko­nosmus stört auch wenig an Eierstöcken oder, wenn eine femme es mag, „wenn ihre Jungen Mädchen“ [*14] sind, – alles sofern denn die Arbeitskraft verwertbar ist.
Folglich organisiert sich das Spektrum, das sich früher als die Lummer (Berlin), Strauß (Bayern) und Dregger (Hessen) in CDU/CSU austobte und heute die frühere vermeint­liche Eindeutigkeit der Geschlechter- und Volkszugehörigkeiten vermisst, nun eigen­ständig in der AfD – ob das nun für Linke besser oder schlechter ist – keine Ahnung.

3. Und was speziell das RDL-Verfahren anbelangt, so ist das, was Christian Rath in der taz [*15], im vorwärts [*16] und der Legal Tribune Online [*17] schreibt („Ein Freispruch liegt also nahe.“) meines Erachtens keine linksliberale Illusion. Mittlerweile halte auch ich so­wohl einen Freispruch als auch, daß dieser vor dem BGH Bestand haben wird, falls die Staatsanwaltschaft gegen einen etwaigen Freispruch Revision einlegen sollte, für wahrscheinlich.
Das grundlegende Problem an dem RDL-Verfahren war, daß der zuständige Staatsan­walt aus irgendeinem Grund übersehen hatte (dass es Absicht war, erscheint mir un­wahrscheinlich), daß, wenn er die Unterstützung des verbotenen Vereins durch Fabian Kienert beweisen will, zunächst den Fortbestand des angeblich unterstützten Vereins beweisen muß.
Das Landgericht Karlsruhe hatte diesen Fehler bemerkt; hielt Nachermittlungen hin­sichtlich eines etwaigen Fortbestandes des Vereins für aussichtslos [*18] und lehnte des­halb die Eröffnung des strafrechtlichen Hauptverfahrens ab.
Das Oberlandesgericht Stuttgart hielt die Verneinung der Erfolgsaussicht von Nacher­mittlungen für voreilig und ordnete deshalb die Durchführung des Hauptverfahrens mit seinen besseren Erkenntnismöglichkeiten an7 [*19].
Auch diese besseren Erkenntnismöglichkeiten scheinen nunmehr ausgeschöpft zu sein; von Beweisen für die (weitere) Existenz des alten BetreiberInnenkreises keine Spur – ein Freispruch steht auf der Tagesordnung.

4. Ein Wort noch zur Überordnung eines eingebildeten ‚wahren Rechts‘ über die wirkli­chen Gesetze: Selbstverständlich ordnen auch RevolutionärInnen ihre politischen In­teressen – in letzter Instanz – den bestehenden Gesetzen über (anderenfalls wären sie keine RevolutionärInnen). Aber RevolutionärInnen flennen nicht um eine Legalität, die sie – beim Akt der Revolution (und auch bei manchen Vorbereitungsschritten) – nicht haben können. MaterialistInnen bekennen sich (wenn auch nicht unbedingt als Individuen, so doch als Bewegung) zu ihren revolutionären Gesetzesbrüchen; nur Idea­listInnen verklären ihre Gesetzesbrüche zum ‚wahren Recht‘.
Deshalb ist juristischer Positivismus epistemologisch materialistisch und deshalb poli­tisch tendenziell links; und juristischer Antipositivismus idealistisch und deshalb poli­tisch tendenziell konservativ (bis hin zum faschistischen Gesetzesbruch [siehe Carl Schmitts Diktum: „Der Führer schützt das Recht“ [https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Kopf_Führer_schützt_das_Recht.jpg]).

(„Positivismus“ wird in Rechtswissenschaft und Rechtstheorie die Auffassung genannt, die nur das gesetzte [lat. pōnere (Perfekt: positum) = legen, setzen, stel­len, hinlegen, hinsetzen, hinstellen, aufstellen u.ä. ] Recht als Recht anerkennt.)

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Re-Replik von Achim:
Nochmals zur politischen Bewertung des RDL-Verfahrens

Ich will der juristischen Einschätzung von dgs gar nicht widersprechen. Ich kenne dgs gut genug, dass ich weiss, dass er/sie nicht dazu neigt, juristischen Wunschträumen nachzujagen (was auch gar nicht zum „Rechtspositivismus“ [*20] passen würde).
Auch ich halte es durchaus für naheliegend (Wahrscheinlichkeiten einzuschätzen wäre reine Spekulation), dass Kienert mit einem Freispruch rechnen kann – das würde ich ihm nicht nur ‚persönlich‘ wünschen, sondern es würde auch ein politisches Aufatmen ermöglichen, das wir alle dringend benötigen (und nicht nur ‚Linke‘).
In diesem Punkt stimme ich also dgs zu, dass die Gesetzesbindung „leidlich funktio­niert“. Ich habe allerdings Probleme mit der Bewertung der staatspolitischen Entwick­lung in Deutschland (eigentlich ab 1945, die zwar nicht wirklich Stunde Null war, aber irgendwie auch wieder doch).
Wenn dgs schreibt:
„Aber die politische Justiz ist meines Erachtens heutzutage deutlich weniger ausge­prägt als zu Hochzeiten der KommunistInnen-Verfolgung in den 50er Jahren sowie der Berufsverbote sowie der RAF-‚SympathisantInnen‘-Hatz insbesondere in den 1970er Jahren.“
dann mag das zwar deskreptiv richtig sein, aber in den 50ern gab eine KP mit einem sehr bedeutenden geschichtlichen Hintergrund (die KPD war die Partei der Komintern, auch wenn die Nachkriegs-KPD nur noch ein Schatten ihrer selbst war), und die 70er Jahre waren die Hochphase der „neuen Linken“ (im Nachgang der Studentenbewe­gung). Dass demgegenüber heutzutage der politischen Justiz die Arbeit ausbleibt, ist ja kein Wunder; – und gegen rechts gilt wohl immer noch die unsägliche deutsche Tradition der Politik des Samthandschuhs.
Da von einer ‚Parallel-Entwicklung der Liberalisierung des Staates‘ (die Kehrseite ist die linke Dauerkrise) zu sprechen, würde ich schon als ‚gewagt‘ bezeichnen. Natürlich bietet die relative innenpolitische Ruhe (ich hätte fast Friedhofsruhe geschrieben ;)) ein ideales Übungsfeld, um die [herrschende] „Demokratie“ von ihrer „schönsten Seite“ zu präsentieren. Aber diese schöne Seite zeigt regelmässig ihre hässliche Janusseite, wenns mal wieder schärfer zur Sache geht. Und Zuckerbrot und Peitsche waren schon immer probate Mittel der Macht- und Herrschaftstechniken. Und wenn die Leute apa­thisch sind, kann die Peitsche auch mal stehen gelassen werden und mit Zuckerbrot (auch medialer Art) gefüttert werden, um ‚das Volk‘ lethargisch und abgestumpft zu halten.
Es ist kein Wunder, dass es immer wieder warnende Stimmen gibt (auch aus der poli­tischen ‚Mitte‘), dass die „Demokratie“ Schaden nimmt, wenn das Interesse und Enga­gement „von unten“ abnimmt. Und diese warnenden Stimmen sind ernst zu nehmen. Wenn es keine Kontrolle und Gegendruck gibt, haben die Machthaber freie Hand und können die Karten so ausspielen, wie es ihnen gerade passt. Dies ist eine Art „Bona­partismus“ [*21], der nicht auf einem Machtgleichgewicht beruht, sondern auf einem Macht­vakuum. Eine Situation, die aus linker Sicht noch gefährlicher ist, da sie keine Hand­lungsalternativen eröffnet – ausser geduldige Aufklärung und „Propaganda“ der eige­nen Ansichten. Nur hat dies leider auch den Nebeneffekt, dass die Isolation und das „Zirkelwesen“ sich eher verstärken und die Breitenwirkung noch schwächer wird als sie eh schon ist.

Um zu einer – vorläufigen – Bewertung zu gelangen: Ja, es gibt eine Liberalisierung im Sinne einer Überwindung überkommener Moraleinstellungen wie in Geschlechter­fragen und Minderheitenpolitik (homo, trans, queer). Aber diese Überwindung der Mo­raleinstellungen befördert eher eine „Individualisierung“ (der einzelnen Subkulturen) als eine (kollektive) Emanzipation, die einen „gesamtgesellschaftlichen“ Effekt hat.
Aus linker linker Sicht ist eine innenpolitisch „befriedete Demokratie“, die auf einem Machtvakuum beruht, kein Zustand, der auf Dauer angelegt sein kann.
Er verschafft bestenfalls eine kleine Atempause, um sich neu zu sortieren. Aber die Ruhe kann auch schnell in die nächste Krise umschlagen.
Und darauf sollte man vorbereitet sein.
Dass das RDL-Verfahren überhaupt zustande gekommen ist, ist eher ein Aus­druck dieses Machtvakuums (das eben [politische und juristische] Freiräume schafft, die sonst undenkbar wären) als einer „leidlich funktionierenden Geset­zesbindung“. An dieser Stelle ist dgs wohl seinem/ihrem eigenen „Rechtspositivis­mus“ auf den Leim gegangen.

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Thesen von dgs gegen die linke Weinerlichkeit

Achim: „in den 50ern gab eine KP mit einem sehr bedeutenden geschichtlichen Hin­tergrund“.

dgs: Ja, aber die KPD erhielt schon 1953 – also drei Jahre vor ihrem Verbot – nur noch etwas mehr als zwei Prozent der Stimmen (https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Kommunistische_Partei_Deutschlands&oldid=244357152#Bundestagswahlen) und flog aus dem Bundestag raus. Das hatte zwar auch etwas mit verwaltungs- und strafrechtlichen KommunistInnenver­folgung zu tun, die spätestens in Folge des Beginns des Koreakriegs 1950 mit aller Wucht einsetzte; aber es war zu einem erheblichen Teil auch hausgemacht.
Also: Daß der deutsche Staat nicht hätte zuschlagen müssen, weil die Linke eh schwach war, galt also auch damals. (Linke außerhalb der KPD stellten in den 50er Jahre deutlich weniger eine Gefahr für den Staat dar als seit 1968 – und auch heute noch).
Der bürgerliche Staat ist aber keine Wohlfühlveranstaltung für Linksradikale sowie KommunistInnen und andere RevolutionärInnen, sondern verteidigt sein Gewaltmono­pol auch schon, bevor seine Existenz als Staat gefährdet ist; und der spezifisch-deut­sche ideologischen Staatsschutz setzt traditionell noch früher ein.

Achim: „Ja, es gibt eine Liberalisierung im Sinne einer Überwindung überkommener Moraleinstellungen wie in Geschlechterfragen und Minderheitenpolitik (homo, trans, queer). Aber diese Überwindung der Moraleinstellungen befördert eher eine ‚Individua­lisierung‘ (der einzelnen Subkulturen) als eine (kollektive) Emanzipation, die einen ‚ge­samtgesellschaftlichen‘ Effekt hat.“

dgs: Das mögen wir als MarxistInnen – bei Unterschieden im einzelnen –, so sehen. Aber auch diese emanzipatorische Individualisierung ist Teil dessen, was Frieder Otto Wolf mal „paradoxe Wunscherfüllung“ genannt hat.[*22] Gerade an dem anarchistischen Teil der queer-Szene bzw. dem queeren Teil der anarchistischen Szene zeigt sich: Die Analyse und De-Konstruktion der gesellschaftlichen Konstruktion von Geschlecht wurde schnurstracks umgedeutet in ein voluntaristisches Programm der subjektiven Wahl des eigenen Geschlechts.

Achim: „Dass das RDL-Verfahren überhaupt zustande gekommen ist,“ spricht nicht gerade für eine „leidlich funktionierenden Gesetzesbindung“.

dgs: Ich wundere mich eher, daß sich der Staat im allgemeinen und Staatsanwalt Graulich insbesondere nicht von Anfang an dafür interessiert hat, welche Person oder welche Personen das Archiv hochgeladen hat oder haben. Daß es strafbar ist, wenn verbotene Vereine weiterhin organisatorischen Zusammenhalt haben und sich weiter­hin betätigen, steht klar im Gesetz (§ 20 Vereinsgesetz [*23], § 85 StGB [*24]). Also hätte doch – aus Staatssicht – durchaus nahegelegen, schon bei Veröffentlichung des Archivs zu überprüfen, ob dessen Veröffentlichung das Werk des alten BetreiberInnenkreises oder von anderen Leuten ist.
Und was speziell die Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit anbelangt: Daran, daß die in der BRD – verglichen insbesondere mit den USA – eher eng definiert ist, wird sich solange nichts ändern, wie Linksliberale und auch Linke am Rockzipfel der bun­desverfassungsgerichtlichen Wechselwirkungs‚theorie‘11 und des ‚Verhältnismäßig­keitsprinzip‘, das – genau besehen – besagt, daß immer das rechtmäßig sei, was den herrschenden Verhältnissen am besten gemäß ist (nicht ‚zu viel‘, aber auch nicht ‚zu wenig‘ Repression)12, hängen.
Die heutige linke Anti-Repressionsarbeit, die ständig Verschärfungen behauptet (wohl um zu mobilisieren), wo es sich in Wirklichkeit um Kontinuitäten handelt, zeigt in erster Linie die Geschichtslosigkeit der Linken und die Illusionen, die gerade auch die etwas radikalere Linke in bestehenden Staat setzt (das hatte ich Ende letzten Jahres schon in Bezug auf die Soliarbeit zum Rondenbarg-Verfahren kritisiert).

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Abschließende Bemerkung von Achim zu dg.s Thesen gegen „linke Weinerlichkeit“

Dass viele der strategischen Probleme der „Linken“ hausgemacht sind, sehe ich selbst auch so. Ich verwende diesen Begriff auch nur noch (der Einfachheit halber) als Sammelbezeichnung, wohl wissend, dass man eigentlich nur von (einzelnen) linken Strömungen sprechen kann, die untereinander stark differenziert sind.
Aber alle linken Strömungen befinden sich in einem permanenten Widerspruch, der nicht auflösbar ist: im System leben und arbeiten und gleichzeitig gegen das System wirken.
Dieser Widerspruch erzeugt Konflikte, wie man am besten (taktisch) vorgehen soll. Wenn man zu radikal ist, stösst man Leute ab [*27], wenn man zu wenig radikal ist, wird sich der „Reformismus“ in eine Affirmation (des Systems) verwandeln (Sozialdemokratie und Gewerkschaften).
Wenn Marx sagt, es geht nicht um eine Erhöhung des Arbeitslohns (was eh nur eine Umverteilungsspirale bedeutet), sondern um die Abschaffung des Lohnsystems (MEW 16 [*28], 101 – 152 [152]), dann mag er theoretisch recht haben, aber wieviel Prozent der Lohnabhängigen werden dieser Argumentation folgen [können]? Ich weiss es nicht, aber ich fürchte, es werden nicht allzu viele sein.
Es ist relativ leicht, sich theoretisch ausserhalb des Systems zu stellen. Aber die Grupen, die das getan haben (man denke z. B. an die famose studentische „Marxistische Gruppe“, heute Gegenstandpunkt) waren realpolitisch irrelevant und als sie sich als verbots-bedroht ansah, war ihre intellektuelle Antwort an den Staat: „leckt uns am Arsch“ [*29]. So etwas wirkt nicht gerade als nachahmenswerte Inspiration!
Taktische Klugheit erfordert ein gewisses Maß an Anpassung an die Gegebenheiten bei gleichzeitiger programmatischer Unbeugsamkeit. Es ist also nicht klug, auf einer Gewerkschaftsversammlung „Nieder mit dem Lohnsystem“ zu schreien, aber man kann den Kollegen durchaus erklären, warum reine Brot- und Butterkämpfe letztlich ins Leere laufen, man sie aber trotzdem unterstützen muss; – als Schule des „Klassenkampfes“.
Bewusstsein entwickelt sich: einmal durch Bücher und Texte, aber eben auch durch Erfahrung. Und welche Erfahrung könnte wirkmächtiger sein als die Erfahrung der Solidarität mit Kollegen und Genossen [*30], die dann diese Bezeichnung wirklich verdienen?!

Und letztlich ist auch das linke Verhältnis zum Recht durch diesen Widerspruch gekennzeichnet: wir müssen unter und mit diesem Rechtssystem leben und bereiten eine andere Ordnung vor. Inwieweit das möglich ist, ist im wesentlichen eine Frage der Kräfteverhältnissse. Und in der gegenwärtigen politischen Situation stehen die linken Kräfte vor einem klaffenden Abgrund.
Ob sie runterstürzen oder ihnen was „besseres“ einfällt, ist noch nicht ausgemacht.

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[*1] https://rdl.de/beitrag/ermittlungsverfahren-nach-indymedia-linksunten-verbot-wegen-bildung-krimineller.

[*2] https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__85.html.

[*3] „Regelungsgegenstand des Verbotsbescheids ist nicht das Verbot des unter der Internetadresse ‚http://linksun­ten.indymedia.org‘ betriebenen Veröffentlichungs- und Diskussionsportals, sondern das Verbot des dahinter ste­henden Personenzusammenschlusses ‚linksunten.indymedia‘ als Organisation“ (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 29.01.2020 zum Aktenzeichen 6 A 1.19, Textziffer 33).

[*4] https://www.landesrecht-bw.de/bsbw/document/NJRE001546409.

[*5] https://www.tagesspiegel.de/politik/verbotene-internetplattform-meldet-sich-im-netz-zuruck-2889934.html.

[*6] https://taz.de/Ermittlungen-gegen-linke-Plattform/!5871408/.

[*7] https://linksunten.indymedia.org/.

[*8] https://uebermedien.de/80833/durchsuchung-wegen-links-wie-der-staat-gegen-einen-unliebsamen-sender-vorgeht/.

[*9] https://www.landesrecht-bw.de/perma?d=NJRE001439981.

[*10] https://tarnkappe.info/artikel/rechtssachen/indymedia-linksunten-kts-razzia-war-rechtswidrig-62077.html.

[*11] Siehe auch golem.de vom 01.07.2022 [https://www.golem.de/news/indymedia-verfahren-nach-paragraf-129-gegen-linksunten-eingestellt-2208-167280.html]: „Im Zuge des damaligen Verbotsverfahrens hat die Polizei Räume des au­tonomen Zentrums KTS in Freiburg durchsucht und Datenträger beschlagnahmt. Im Jahr 2020 entschied der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg laut der Tageszeitung taz [https://taz.de/Durchsuchung-in-Freiburger-KTS-Zentrum/!5728055/], dass diese Durchsuchung rechtswidrig war.“ Der Schlußsatz dieses Artikels lautet: „Wenige Tage vor der Verhandlung am Bundesverwaltungsgericht wurde ein Archiv der Webseite online gestellt [https://linksunten.archive.indymedia.org/].“

[*12] https://de.indymedia.org/sites/default/files/2024/04/Presseschau_RDL_Tag_1_bis_3___FINAL.pdf.

[*13] Das Bundesverwaltungsgerichte hatte 2020 entschieden: „Regelungsgegenstand des Verbotsbescheids ist nicht das Verbot des unter der Internetadresse ‚http://linksunten.indymedia.org‘ betriebenen Veröffentlichungs- und Dis­kussionsportals“ (siehe Fußnote 1). Das Oberlandesgericht Stuttgart sprach dann aber doch wieder von „verbote­ne[r] Website“ (Beschluß vom 12.06.2023 zum Az. 2 Ws 2/23 [https://www.landesrecht-bw.de/bsbw/document/NJRE001546409], Textziffer 16, 19 und 49) und „verbotenen Plattform“ (ebd., Textziffer 51 und 65).

[*14] Judith Butler, Das Unbehagen der Geschlechter, Suhrkamp: Frankfurt am Main, 1991, 182.

[*15] https://taz.de/Radio-Redakteur-vor-Gericht/!6001960/.

[*16] https://www.vorwaerts.de/inland/radio-dreyeckland-wieso-der-link-prozess-die-pressefreiheit-beruehrt.

[*17] https://www.lto.de//recht/hintergruende/h/lg-karlsruhe-strafverfahren-fabian-kienert-radio-dreyeckland-verbotene-vereinigung/.

[*18] Vgl. LG Karlsruhe, Beschluß vom 16.05.2023 zum Aktenzeichen 5 KLs 540 Js 44796/22 [https://www.landesrecht-bw.de/bsbw/document/NJRE001547963], Textziffer 73: „Die […] von der Verteidigung bereits im Beschwerdeverfahren mit Schriftsätzen vom 13.03.2023 sowie ergänzend vom 29.03.2023 vorgebrachten tatsächlichen Argumente gegen das Bestehen eines dahingehenden Verdachts wurden von der Staatsanwaltschaft nicht aufgegriffen und auch nicht erkennbar zum Gegenstand von Nachermittlungen ge­macht und somit in tatsächlicher Hinsicht nicht widerlegt.“
Allerdings hätte das Landgericht die Staatsanwaltschaft auch schon im Zwischenverfahren (zwischen Anklageerhe­bung und Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens) ausdrücklich zu Nachermittlungen verpflichten können (was es aber wohl nicht gemacht hatte): „Bevor das Gericht über die Eröffnung des Hauptverfahrens ent­scheidet, kann es zur besseren Aufklärung der Sache einzelne Beweiserhebungen anordnen. Der Beschluß ist nicht anfechtbar.“ (§ 202 StPO [https://www.gesetze-im-internet.de/stpo/__202.html])

[*19] „Diffizile Beweiswürdigungsfragen dürfen nicht im Zuge der nicht-öffentlichen und nicht-unmittelbaren vorläufigen Tatbewertung des für die Eröffnungsentscheidung zuständigen Gerichts endgültig entschieden werden. Die Eröff­nungsentscheidung soll erkennbar aussichtslose Fälle ausfiltern, aber der Hauptverhandlung ansonsten nicht vor­greifen“ (OLG Stuttgart, Beschluß vom 12.06.2023 zum Aktenzeichen 2 Ws 2/23 [https://www.landesrecht-bw.de/bsbw/document/NJRE001546409], Tz. 42).

[*20] Auf den Rechtspositivisms möchte ich hier jetzt aber nicht weiter eingehen. Darüber ist ein ausführliches Ge­spräch zum juristischen Methodenstreit geplant, das die bereits begonnene indy-serie [https://de.indymedia.org/node/270171] von dgs und mir fortsetzen wird.

[*21] Vgl. https://de.indymedia.org/node/343963, Abschnitt „Bonapartistische Gefahren“.

[*22] „Der Prozeß der bisherigen Durchsetzung der neoliberalen Gegenreform hat seine Hegemonie nicht in erster Li­nie mit militärischer oder ökonomischer Gewalt gewonnen, sondern indem er vor allem die Zustimmung einer brei­ten und lange Zeit wachsenden Massenbasis organisierte. Dieser für viele Linke schmerzliche Prozeß läßt sich pro­duktiv unter dem Gesichtspunkt der ‚paradoxen Wunscherfüllung’ analysieren, d.h. einer derartigen Erfüllung gera­de der zentralen Wünsche der neuen sozialen und identitären Bewegungen der 70er und 80er Jahre, daß sie da­durch zu starken Sprengkräften für eine Spaltung der Bewegungen und zu neuen Instrumenten der Herrschaftssta­bilisierung umfunktioniert werden konnten.“ (Frieder Otto Wolf, Das Wunder von Europa läßt noch auf sich warten. Zu Lage und Perspektiven der europäischen Linken nach der neoliberalen Gegenreform [++1], in: Prokla. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft H. 114, 1/1999 [++2], 117 – 143 [128]. – Dies wird dann bis Seite 131 genauer ausgeführt).
[++1] https://prokla.de/index.php/PROKLA/article/view/825/785.
[++2] https://prokla.de/index.php/PROKLA/issue/view/84

[*23] https://www.gesetze-im-internet.de/vereinsg/__20.html.

[*24] https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__85.html.

[*25] Siehe zur Kritik an dieser
• meinen dortigen „Anhang 1: Zum Begriff der ‚allgemeinen Gesetze‘ in Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz“: https://publikum.net/staatsanwaltschaft-karlsruhe-klagt-redakteur-von-radio-dreyeckland-rdl-an-presseschau/ / https://de.indymedia.org/sites/default/files/2023/05/publikum-Pressseschau%20zu%20Anklage.pdf
sowie
• meine dortigen Fußnote 6 (und dort im Haupttext die Passage bei FN 3 bis 6): https://blogs.taz.de/theorie-praxis/verfassungsbeschwerde-eingereicht-strafverfahren-weiter-verzoegert/.

[*26] Helmut Ridder, „Das Menschenbild des Grundgesetzes“. Zur Staatsreligion der Bundesrepublik Deutschland [++3], in: Demokratie und Recht 1979, 123 – 134 (127): Das (bundesverfassungsgerichtliche) Verhältnismäßigkeitsprinzip be­sage „in Bezug auf Rechtsfindung und -anwendung […]: Nur soviel als Rechtsfindung und -anwendung deklarierte Erfindung und Anwendung von Nicht-Recht bzw. nur soviel Nicht-Findung und Nicht-Anwendung von Recht, wie im Einzelfall um der generellen und großzügig verfahrenden Systemerhaltung willen erforderlich. Dementsprechend auch nur soviel Blindheit oder Legasthenie oder intellektuelle Schwerhörigkeit gegenüber dem positiven Recht wie jeweils erforderlich.“
Und ders. zum Verhältnis der meisten Linken zum Verhältnismäßigkeitsprinzip: „Um ‚Toleranz‘ buhlt und bettelt am inständigsten das Gros der blinden Mannschaft, die hart am ‚linken‘ Systemrand eben diesen am nachhaltigsten dadurch härtet, daß sie mit dem Nachsuchen um ‚Toleranz‘ […] affirmativ wird. Sie bestätigt damit objektiv, daß das, was ihr Recht ist, ihr aber bloß qua ‚Jugendsünde‘ oder irrendes Gewissen o. ä. zugestanden wird, ‚an sich‘ nicht Recht, daß es vielmehr ein vergönnungsweise als Wohltat gespendetes Nicht-Recht ist. Was kann sie dann noch argumentativ ins Feld führen, wenn die Ausdehnung der Toleranzmarge sich nach den jeweiligen Umständen ‚verhältnismäßig‘, den ‚Verhältnissen‘ entsprechend, verengt? Und welchen rauschhaften Illusionen erliegt sie, wenn die Toleranzmarge sich, den ‚Verhältnissen‘ entsprechend, mal wieder erweitert!“ (ebd., 133; Hv. i.O)
[++3] http://theoriealspraxis.blogsport.de/images/Ridder_Menschenbild.pdf

[*27] Ich empfehle die ARTE-Serie „Machine – Die Kämpferin“ (https://www.arte.tv/de/videos/RC-025010/machine-die-kaempferin/) als Anschauungsmaterial für politische Arbeit in der „Arbeiterklasse“. Obendrein bietet sie spannende action!

[*28] https://marx-wirklich-studieren.net/wp-content/uploads/2012/11/mew_band16.pdf.

[*29] Wörtlich: „Wir geben auch nicht auf, weil die Welt den Kommunismus für tot erklärt. Wir lösen uns auf, weil uns der freiheitliche demokratische Rechtsstaat mit seinem Verfolgungswahn keine Wahl läßt. Und der staatlichen Fahndung Märtyrer anzubieten, ist uns zu blöd.“ (https://msz.gegenstandpunkt.com/sites/msz8/files/artikel/pdf/91_4_erklaeru.pdf, S. 2)

[*30] „Als Genosse (von althochdeutsch: ginoz – jemand, der mit einem anderen etwas genießt, Nutznießung hat) bezeichnet man einen Gefährten (Kampfgenosse, Eidesgenosse, Zeitgenosse …), also jemanden, mit dem man eine gemeinsame Erfahrung in einem bestimmten Bereich geteilt hatte, der dieselben Ziele hatte und auf den man sich aus diesem Grund verlassen kann.“ (https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Genosse&oldid=240114360)

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passiert am 04.2024